Weniger ist mehr. Viel mehr.

St. Gallen: Karin Bischoff & Kathrin Baumberger schaffen in ihrer Maßschneiderei zeitlose Eleganz mit handwerklicher Hingabe für individuellen Stil.

Nr. 02 // JA // 2022
Text:
Silja Munz
Fotos:
Corinne Stoll
Maya Daniele
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Kleidung. Nicht als Zeiterscheinung, sondern als Ausdruck der Persönlichkeit

Es ist kurz nach acht an diesem Morgen, während ich die Manufaktur an der Bahnhofstrasse St. Gallen betrete. Im Atelier herrscht bereits emsiges Treiben: Ein Bügeleisen gleitet dampfend über feinen Chiffon. Nebenan rattern die Nähmaschinen, Textiles, wohin das Auge reicht. Mittendrin Karin Bischoff, die gerade mit ihrer Mitarbeiterin einen Änderungsauftrag bespricht. Der Umgang, familiär, freundlich, aber speditiv. Ich spüre sofort: Hier arbeitet ein eingespieltes Team. Karin Bischoff erledigt noch schnell ein Telefonat mit einem Stofflieferanten – «Sorry, aber da muss ich ran!» – dann sitzen wir bei Espresso und reden. Sie sei sichtlich erleichtert, dass der Betrieb wieder Fahrt aufnehme. Die letzten Monate habe die Kundschaft nur zögerlich in Kleidung investiert. Das Geschäft der Massbekleidung sei sowieso ein Nischenmarkt. Mir wird bewusst, dass dieses wohl nur betreibt, wer eine gehörige Portion Mut und Hingabe mitbringt.

Seit rund 12 Jahren ist die Manufaktur eine feste Institution in St.Gallen. Die Inhaberinnen sind keine Unbekannten in der Branche. Karin Bischoff und Kathrin Baumberger haben sich auf Kleidung nach Mass spezialisiert. Zu ihnen kommt, wer bei Kleidung ab Stange nicht fündig oder nicht glücklich wird. die Manufaktur verarbeitet qualitative Stoffe und edle Stickereien regionaler Textilunternehmen. Das hat ihren Preis. Dieser relativiert sich, sobald man weiss, wie viel Arbeit dahintersteckt. «Für ein Hochzeitskleid mit aufwendigen Details kommen locker 30 Stunden, für einem Blazer 25 Stunden zusammen, je nach Verarbeitung und Details», erklärt Bischoff. Unterstützung bekommt sie vom 7-köpfigen Team, darunter aktuell auch ein Lernender Bekleidungsgestalter. Die Schneiderei, also doch «a gentlemen thing»?

Auch Kathrin Baumberger ist heute vor Ort. Normalerweise arbeitet sie im Theateratelier in Zürich, dem zweiten Standort. Dort entwirft und produziert sie Kostümbilder für Theater- und Musicalproduktionen. Und das sehr erfolgreich: Immer wieder gewinnen ihre Kostümbilder renommierte Branchenpreise. Ihre Augen fangen Feuer, während sie mir von ihrer Arbeit erzählt. Und von Produktionen, wo kurz vor Showstart Kostüme noch blitz geändert oder notrepariert werden mussten. Gerne hätte ich noch länger ihren Anekdoten gelauscht, doch die Arbeit ruft. Gleich kommen die Jungs von Bliss zur Anprobe ihrer Bühnenoutfits. «Wir müssen die Outfits aufbügeln und bei einer Hose sitzt eine Naht noch nicht», sagt sie – und ist weg. Karin Bischoff erklärt mir, dass auch die männliche Kundschaft immer modeaffiner werde. Der Grossteil aber sei eher praktisch orientiert und schätze den Tragekomfort eines Anzugs oder die gutsitzende Hose, die sie bequem durch den Businessalltag begleite. Mit Scabal führt die Manufaktur ein Masskonfektionslabel, das genau diesem Lifestyle Rechnung trägt. Stoffe aussuchen, Details wählen, Mass nehmen und ab geht’s in die Produktion. Das Resultat ist eine Garderobe, die den Mann schon mit wenigen, aber vielseitig kombinierbaren Teilen adäquat durch jede Saison bringt.

Das Schneiderhandwerk ist ihre Masche: Karin Bischoff, Grande Dame der Ostschweizer Textilindustrie und Kathrin Baumberger, Kostümdesignerin mit internationalem Renommee. Gemeinsam führen sie die Manufaktur in St.Gallen und Zürich. Nach der Schneiderausbildung festigt Bischoff ihr Know-how mit einem Textiltechnik-Studium und steigt im Familienbetrieb Bischoff Textil AG ein. Sie engagiert sich als Berufsexpertin bei den WorldSkills und Präsidentin des Verbandes Swissmode. Baumberger vertieft nach der Ausbildung zur Couture-Schneiderin ihr Wissen in den Studiengängen Modedesign und Schnitttechnik und macht sich mit ihren Kostümdesigns in der internationalen Bühnenszene einen Namen.
#WHATATEAM
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Tradition. Ohne dass Patina daran klebt

Was mir besonders gefällt, ist das Angebot, das sich durch den ganzen Lebenszyklus eines Kleidungsstücks zieht: von der klassischen Schneiderei über die professionelle Textilreinigung bis hin zu Änderungen, wo man sich aus dem geliebten «Alten» ein neues Lieblingsstück schneidern lässt. Der umweltbewusste Ansatz ist konsequent. Und mutig in einer Zeit, in der Fast Fashion noch immer – oder immer mehr? – Konsumstandard ist und sich die Textilindustrie mit einem gnadenlosen Preiskampf kannibalisiert.

Auch Karin Bischoff muss weiter zum nächsten Termin. Eine Kundin wartet auf die finale Anprobe für ihr Hochzeitskleid. Immer ein Zittermoment, selbst für eine Fachfrau wie sie. «Es geht schliesslich nicht um irgendein Kleid, sondern um DAS Kleid. Da sind die Erwartungen hoch und diese wollen wir erfüllen», sagt sie. «Spätestens, wenn die Kundin selbstbewusst und mit einem Lächeln aus der Anprobe schreitet, weiss ich: YES! Wir haben alles richtig gemacht!»

Die Manufaktur scheint vieles richtig zu machen, denke ich, während ich wieder draussen auf der Bahnhofstrasse stehe. Die zwei Stunden sind vergangen wie im Flug. In jedem einzelnen Moment habe ich die Liebe zum Handwerk gespürt. Dieser Laden wird nie einer für die Masse sein. Aber wieso eigentlich nicht? Wünschen wir uns nicht alle Produkte, die uns glücklich machen – am liebsten für immer? Einen Ort, wo nicht der schnelle Umsatz, sondern persönlicher Kontakt und individuelle Bedürfnisse im Vordergrund stehen? die Manufakturschafft es wirklich, das Ostschweizer Textilhandwerk als Kulturerbe lebendig zu gestalten. Zufrieden mit der Welt mache ich mich auf den Weg.

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Dies ist der erste Artikel der Schlosszeit
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